Auswertung von systematischen TB-Screening-Programmen für MigrantInnen im Rahmen des EU-Projektes TB-DETECT
In einer im Oktober 2022 veröffentlichten Studie analysieren Menezes et al. (1) die Ergebnisse von vier großen europäischen Tuberkulose-Screening-Programmen für MigrantInnen, die in Italien, Schweden, den Niederlanden und Großbritannien durchgeführt wurden und vergleichen die verschiedenen programmatischen Ansätze, untersuchten Populationen und Fallfindungsraten der Programme.
In der Studie werden Daten verwendet, die im Rahmen des von der Europäischen Kommission geförderten Projekts „E-DETECT“ in den Jahren 2005 bis 2018 gesammelt wurden. Sie umfassen circa 2,3 Millionen Screening-Ereignisse von insgesamt über 2 Millionen MigrantInnen, von denen die meisten junge Erwachsene im Alter von 18-44 Jahren (77,8 %) aus Asien (78 %) und Afrika (18 %) sind. Insgesamt wurden in dem Zeitraum 1.658 TB-Fälle gefunden, wobei es erhebliche Unterschiede in den Fallfindungsraten zwischen den vier Ländern gibt. In Großbritannien ist sie mit 68,9 Fällen pro 100.000 gescreenter Personen am kleinsten, darauf folgt die Niederlande mit einer Fallfindungsrate von 83,2/100.000, dann Schweden mit 201,1/100.000. Italien hat mit 653,6 Fällen/100.000 die höchste Fallfindungsrate zu verzeichnen.
Diese großen Unterschiede lassen sich teilweise durch verschiedene Ansätze der TB-Screening-Programme sowie abweichende Migrationsmuster erklären. Denn zwar gibt es in fast allen Niedriginzidenzländern vorgeschriebene Regelungen für ein TB-Screening bei MigrantInnen, diese sind jedoch nicht einheitlich. So variieren die verschiedenen Programme erheblich, in den Zielgruppen, den Testverfahren, in der Durchführung und auch in der Frage, ob die Screenings freiwillig sind oder nicht.
So wird in Schweden, Italien und den Niederlanden das TB-Screening kurz nach der Ankunft der MigrantInnen durchgeführt, in Großbritannien hingegen noch im Herkunftsland. Auch die untersuchten Gruppen unterscheiden sich. Während sich das Screening in Großbritannien auf Personen mit bereits erteiltem Visum beschränkt, werden in den anderen Ländern hauptsächlich Asylsuchende in die Screening-Programme einbezogen, in den Niederlanden auch andere Einwanderer. In Italien und Schweden ist die Teilnahme an dem Programm freiwillig, in den Niederlanden und Großbritannien verpflichtend.
Auch die Art der verwendeten Testverfahren hat Auswirkungen auf die Fallfindungsraten. In Großbritannien wird mittels Symptomfragebögen und Röntgen-Thorax-Aufnahmen gescreent. Hingegen werden in Schweden und Italien zunächst Tuberkulin- und IGRA-Tests durchgeführt und erst bei positiven Befunden oder dem Vorliegen von Symptomen erfolgt ein Röntgenbild. Diese gezieltere Screening-Methode könnte Einfluss auf die höheren Fallfindungsraten in Italien und Schweden haben.
Vor allem aber spielen die Herkunftsländer und Migrationsmuster eine entscheidende Rolle für die Anzahl an gefundenen TB-Fällen. So kommen die hohen Fallzahlen in Italien wahrscheinlich auch dadurch zustande, dass dort vergleichsweise mehr MigrantInnen aus Afrika stammen (83,6 %), überwiegend aus Hochinzidenzländern südlich der Sahara. Diese sind auf ihrer Fluchtroute nach Europa vermutlich zusätzlich einem sehr hohen Ansteckungsrisiko ausgesetzt.
Die AutorInnen betonen die Wichtigkeit der gemeinsamen Datensammlung und Auswertung sowie weitere Untersuchungen mit aktuellen und umfangreicheren Daten durchzuführen, um die unterschiedlichen Fallfindungsraten noch besser zu verstehen und die geeignetste Screening-Methode identifizieren zu können. Die gewonnenen Erkenntnisse können dazu beitragen, evidenzbasierte politische Entscheidungen zu treffen und in Zukunft einheitliche Richtlinien für TB-Screenings bei MigrantInnen zu entwickeln, um zur globalen TB-Eliminierung beizutragen.
Bedeutung für Deutschland: In Deutschland wird nach Infektionsschutzgesetz §36Abs.4 von MigrantInnen vor Aufnahme in eine Gemeinschaftseinrichtung eine Bescheinigung über TB-Freiheit benötigt, die sich in der Regel auf eine Röntgen-Thorax-Aufnahmen oder andere, von den Landesbehörden zugelassene Methode stützt. Durch Koordination des DZK wird gerade eine S3-Leitlinie zur Prävention bei MigrantInnen erarbeitet, die gezielt Art, Durchführung und Management des TB-Screenings in Deutschland untersucht. Die Fertigstellung ist bis 2025 geplant.
- Menezes D, Zenner D, Aldridge R, Anderson SR, de Vries G, Erkens C, Marchese V, Matteeli A, Muzyamba M, Nederby-Öhd J, van Rest J, Spruijt I, Were J, Lönnroth K, Abubakar I, Cobelens F. Country differences and determinants of yield in programmatic migrant TB screening in four European countries. Int J Tuberc Lung Dis. 2022 Oct 1;26(10):942-948. doi: 10.5588/ijtld.22.0186. PMID: 36163670.