Neue Wege in der Bekämpfung der Tuberkulose: Herausforderungen und Lösungsansätze in der Versorgungslandschaft- No1Lost
Die Zahl der Tuberkulose (TB)-Fälle in Westeuropa ging in den letzten Jahrzehnten stetig zurück [1, 2]. In der TB-Prävention und -Versorgung bestehen jedoch weiterhin Herausforderungen [3]. So sind etwa in Großbritannien Menschen ohne Zugang zum Gesundheitssystem oder Menschen mit niedrigem sozioökonomischem Status und weiteren sozialen Risikofaktoren, wie Obdachlosigkeit, Inhaftierung und Alkoholabhängigkeit, besonders von einer Unterversorgung betroffen [4]. Um TB auch in diesen Risikogruppen erfolgreich identifizieren und bekämpfen zu können, sind Versorgungsmodelle und Maßnahmen im Gesundheitssystem notwendig, die genau auf die Bedarfe der Betroffenen zugeschnitten sind [5-7]. Denn die Wirksamkeit von Maßnahmen zur TB-Bekämpfung kann je nach Bevölkerungsgruppe und Lebenswelt variieren [6].
Um einen Beitrag zur Entwicklung einer maßgeschneiderten Versorgung zu leisten, untersuchten Berrocal-Almanza und Kolleginnen und Kollegen (2023; [8]) Barrieren und Erfolgsfaktoren für die TB-Versorgung. Da sich bisherige Forschung zu diesem Thema auf die TB-Versorgung in London beschränkte [9], sollte die Studie Wissenslücken für die betroffene Bevölkerung in Birmingham und Leicester schließen, da die TB-Prävalenz dort zu den höchsten in Großbritannien zählt [2]. In einer Mixed-Methods-Studie wurden quantitative Daten aus lokalen TB-Registern und aus dem nationalen TB-Surveillance-System (2013-2018) sowie qualitative Daten aus Interviews mit TB-Patientinnen und Patienten und der Gesundheitsversorgung ausgewertet [8].
Anhand der lokalen TB-Register und des Surveillance-Systems konnte zunächst festgestellt werden, dass nicht-erfolgreiche TB-Behandlungsergebnisse (z.B. Abbruch der Behandlung oder Tod) vor allem bei Patientinnen und Patienten auftraten, die 55 Jahre oder älter waren, nicht in Großbritannien geboren wurden und an multiresistenter (MDR-)TB litten. Für die TB-Behandlung hinderlich waren laut der Beteiligten außerdem schlechte Lebens- und Arbeitsbedingungen, mangelnde bzw. nicht vorhandene soziale Sicherungssysteme, Versorgungsstrukturen, die die Erwartungen und Bedarfe der Betroffenen nicht erfüllen sowie Nebenwirkungen der TB-Behandlung [8].
Voraussetzung für die Überwindung dieser Barrieren ist laut den Autorinnen und Autoren der Studie eine verstärkte Kooperation zwischen Gesundheits- und Sozialdiensten, medizinischem Personal im haus- und fachärztlichen Bereich sowie niederschwelligen Angeboten gemeindenaher Dienste. Eine effektive TB-Prävention und -Versorgung erfordert daher nicht nur Maßnahmen im Gesundheitssystem, sondern auch die Integration von sozialen Sicherungsmaßnahmen und die Sicherstellung einer lokal verankerten TB-Versorgung ohne Zugangsbarrieren. Darüber hinaus ist es aus gesundheitspolitischer Sicht von entscheidender Bedeutung, die Integration und den Zugang zur Gesundheitsversorgung für im Ausland geborene Personen sowie ältere Menschen zu erleichtern.
Auch in Deutschland werden momentan Maßnahmen für eine Verbesserung der TB-Versorgung und Therapieadhärenz erarbeitet. Im Rahmen des durch das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) geförderten Projektes „No1Lost der Justus-Liebig-Universität Gießen, der CAPNETZ-Stiftung und des Deutschen Zentralkomitees zur Bekämpfung der Tuberkulose (DZK) sollen die Versorgungsstrukturen für TB in Deutschland systematisch erfasst und in einem sozialmedizinisch-orientierten Kompetenznetzwerk für Therapieadhärenz zusammengeführt werden. Um insbesondere bei vulnerablen Gruppen Therapieabbrüche zu vermeiden, soll das geplante Netzwerk individuell beraten, sinnvolle Ansätze zur sozialmedizinischen Unterstützung systematisieren und diese verbreiten [10].
Verwendete Literatur:
- Robert Koch-Institut, RKI-Ratgeber Tuberkulose. Epidemiologisches Bulletin, 2024. 11: p. 7-23.
- UK Health Security Agency, Tuberculosis in England: Report 2021. 2021, UK Health Security Agency: London.
- Trauer, J.M., et al., The Importance of Heterogeneity to the Epidemiology of Tuberculosis. Clinical Infectious Diseases, 2018. 69(1): p. 159-166.
- UK Health Security Agency. Tackling tuberculosis in under-served populations. 2019; Available from: https://www.gov.uk/government/publications/tackling-tuberculosis-in-under-served-populations.
- National Institute for Health and Care Excellence (NICE), Tuberculosis: NICE Guideline. 2024.
- Galea, S., J. Ahern, and A. Karpati, A model of underlying socioeconomic vulnerability in human populations: evidence from variability in population health and implications for public health. Social Science & Medicine, 2005. 60(11): p. 2417-2430.
- Public Health England (PHE), Collaborative Tuberculosis Strategy for England 2015 to 2020. 2015.
- Berrocal-Almanza, L.C., et al., Vulnerability and tuberculosis treatment outcomes in urban settings in England: A mixed-methods study. PLoS One, 2023. 18(8): p. e0281918.
- Anderson, C., et al., Tuberculosis in London: the convergence of clinical and social complexity. European Respiratory Journal, 2016. 48(4): p. 1233-1236.
- Deutsches Zentralkomitee zur Bekämpfung der Tuberkulose e.V. (DZK). No1Lost. 2024; Available from: https://www.dzk-tuberkulose.de/no1lost/.