Effektivität und Sicherheit einer 9-monatigen, oralen Behandlung für Rifampicin-resistente Tuberkulose mit WHO-Gruppe A/B Medikamenten
Tuberkulose (TB) ist weltweit die führende Todesursache im Zusammenhang mit Antibiotikaresistenz [1]. Insbesondere die multiresistente (MDR) oder Rifampicin-resistente (RR) TB (MDR/RR-TB) stellt mit schätzungsweise 4% aller Tuberkulosefälle (ca. 410.000 Fälle) eine erhebliche Bedrohung für die öffentliche Gesundheit dar [1, 2]. Der Behandlungserfolg bei MDR/RR-TB liegt weltweit nur bei etwa 64% [2]. Auf die Europäische Region der WHO entfallen nur 2% der weltweiten TB-Krankheitslast. Dennoch verzeichnete sie 2022 16% aller neu aufgetretenen MDR/RR-TB-Fälle, wobei Osteuropa, Zentralasien und das Baltikum besonders betroffen sind [2, 3].
Die WHO empfahl 2020 vorrangig eine 9- bis 12-monatige, orale, Bedaquilin-basierte Fixkombination für geeignete Patientinnen und Patienten mit MDR/RR-TB ohne Fluorchinolon-Resistenz [4]. Aufgrund häufiger Resistenzen gegenüber den Bestandteilen, ließ sich dieses Regime jedoch in Europa kaum anwenden und wurde in Deutschland nur nachrangig empfohlen [5]. Eine individualisierte, an die Erregerresistenzen angepasste Therapie vorrangig mit den Medikamenten der WHO-Gruppen A und B wurde von den Autorinnen und Autoren der S2k-Leitlinie 2022 als geeigneter bewertet [6]. Diese muss jedoch über 18 Monate durchgeführt werden und ist häufig mit Therapieabbrüchen verbunden [7]. Um eine modifizierte, kürzere MDR-TB-Therapie auf Basis der Gruppe A- und B-Medikamente (englisch‚ modified shorter treatment regimen‘ [mSTR]) zu evaluieren, initiierte die WHO 2020-2023 eine prospektive Kohortenstudie in 13 Ländern der Europäischen WHO-Region [8].
In der einarmigen prospektiven Studie erhielt der Großteil der 2636 Teilnehmenden im Alter über sechs Jahre Bedaquilin, Linezolid, Levofloxacin, Clofazimin und Cycloserin (96%) über 9 Monate. Bei Unverträglichkeit bzw. Resistenz gegen Cycloserin wurde dieses durch Delamanid ersetzt (3%). Kindern unter sechs Jahren wurde dahingegen Delamanid, Linezolid, Levofloxacin und Clofazimin verabreicht (1%) [8]. Nach einer 12-monatigen Nachbeobachtungszeit wurde primär die Zeit bis zu einem nicht-erfolgreichen Behandlungsergebnis (Behandlungsabbruch, nicht-Erscheinen des oder der Teilnehmenden in der Nachbeobachtungszeit, Tod oder Wiederauftreten der TB) ausgewertet. Zusätzlich wurde die Häufigkeit unerwünschter Arzneimittelwirkungen (UAWs) beobachtet [8].
Die Wahrscheinlichkeit eines erfolgreichen Therapieergebnisses durch den Einsatz von mSTR lag zum Ende der Nachbeobachtung bei 79%. Im Vergleich dazu wurde in einer südafrikanischen Kohorte mit der bis dahin durch die WHO-empfohlenen 9- bis 12-monatigen Bedaquilin-basierten Fixkombination ein Therapieerfolg von 70% erzielt [9]. Die Mortalität von mSTR lag mit 4% in der mSTR-Kohorte niedriger als in der zum Vergleich herangezogenen südafrikanischen Kohorte (17%). Eine Ko-Infektion mit HIV, Rauchen, Alkoholkonsum, höheres Alter, Mangelernährung, Anämie, Leberschäden und beidseitige Kavernen waren ebenso wie Arbeitslosigkeit mit einem nicht-erfolgreichen Behandlungsergebnis verbunden.
Höhergradige UAWs der mSTR waren mit 9% ähnlich häufig wie in vergleichbaren Studien. Zu den häufigsten UAWs zählten erwartungsgemäß Myelosuppression, QT-Zeit-Verlängerung und periphere Neuropathie. Ein Wiederauftreten der TB wurde in der Nachbeobachtungszeit bei weniger als 1% der Teilnehmenden beobachtet. Wie in anderen Kohorten beschrieben, kam es in der Nachbeobachtungszeit durch Übersterblichkeit zu einer Erhöhung der Mortalität auf 6% [7, 8].
Laut Autorinnen und Autoren der WHO-Studie sprechen der hohe Behandlungserfolg und die niedrige Rückfallrate innerhalb von 12 Monaten nach der Behandlung für das Potenzial von mSTR. Diese modifizierte, kürzere MDR/RR-TB-Therapie mit den bekannten WHO-Gruppe A/B-Medikamenten kann demnach die bestehenden Behandlungsmöglichkeiten ergänzen [8].
Seit 2022 empfehlen die WHO und 2023 auch die deutsche S2k-Leitlinie das 6-monatige, orale BPaLM-Regime für die Behandlung einer MDR/RR-TB, bestehend aus Bedaquilin, Pretomanid und Linezolid und Moxifloxacin [10, 11]. Für schwangere oder stillende Frauen sowie Kinder unter 14 Jahren gelten aktuell noch Indikationseinschränkungen für Pretomanid als essenziellen Bestandteil von BPaLM. Für diese Patientengruppen gibt es mehr Erfahrungen mit den Medikamenten von mSTR. Daher sind die Studienergebnisse insbesondere für diese Patientengruppen von großer Bedeutung [8, 10]. Hervorzuheben sind auch die Einbeziehung sozialmedizinischer Faktoren in die Risikofaktorenanalyse und die Bemühungen, studienbegleitend zur Verbesserung der Behandlungsstrukturen in einer von MDR/RR-TB besonders betroffenen Region beizutragen.
Am 23. August wurde durch eine „rapid communication“ der WHO eine weitere Aktualisierung der Empfehlungen zur Behandlung der resistenten Tuberkulose zum 1. Quartal 2025 angekündigt. Wir werden über die geplanten Änderungen berichten und Sie gemeinsam mit den Autorinnen und Autoren der Leitlinie für den deutschen Behandlungskontext einordnen.
Verwendete Literatur
- World Health Organization (WHO), World health statistics 2023: monitoring health for the SDGs, sustainable development goals. 2023: Geneva.
- World Health Organization (WHO), Global Tuberculosis Report 2023. 2023: Geneva.
- World Health Organization and European Centre for Disease Prevention and Control, Tuberculosis surveillance and monitoring in Europe 2023: 2021 data. 2023.
- World Health Organization (WHO), WHO consolidated guidelines on tuberculosis: module 4: treatment: drug-resistant tuberculosis treatment. 2020: Geneva.
- Lange, C., et al., Limited Benefit of the New Shorter Multidrug-Resistant Tuberculosis Regimen in Europe. Am J Respir Crit Care Med, 2016. 194(8): p. 1029-1031.
- Schaberg, T., et al., [Tuberculosis in adulthood – The Sk2-Guideline of the German Central Committee against Tuberculosis (DZK) and the German Respiratory Society (DGP) for the diagnosis and treatment of adult tuberculosis patients]. Pneumologie, 2022. 76(11): p. 727-819.
- Otto-Knapp, R., et al., Long-term multidrug- and rifampicin-resistant tuberculosis treatment outcome by new WHO definitions in Germany. Eur Respir J, 2022. 60(5).
- Korotych, O., et al., Effectiveness and Safety of Modified Fully Oral Nine-Month Treatment Regimens for Rifampicin-Resistant Tuberculosis: Prospective Cohort Study, in The Lancet (Preprint). 2024.
- Ndjeka, N., et al., Treatment outcomes 24 months after initiating short, all-oral bedaquiline-containing or injectable-containing rifampicin-resistant tuberculosis treatment regimens in South Africa: a retrospective cohort study. Lancet Infect Dis, 2022. 22(7): p. 1042-1051.
- World Health Organization (WHO), WHO consolidated guidelines on tuberculosis: Module 4: treatment – drug-resistant tuberculosis treatment, 2022 update. 2022: Geneva.
- Otto-Knapp, R., et al., Therapie bei MDR-, prä-XDR-, XDR-Tuberkulose und Rifampicin- Resistenz oder bei Medikamentenunverträglichkeit gegenüber mindestens Rifampicin – Amendment vom 19.09.2023 zur S2k-Leitlinie: Tuberkulose im Erwachsenenalter. Pneumologie, 2024. 78(1): p. 35-46.