Update S2k-Leitlinie Tuberkulose im Erwachsenenalter – Was ist neu?
Seit Mitte 2022 ist die überarbeitete S2k-Leitlinie Tuberkulose im Erwachsenenalter verfügbar. In insgesamt 9 Kapiteln und 109 Empfehlungen und Begründungstexten wird detailliert auf die unterschiedlichen Aspekte von Diagnostik, Versorgung, Therapie aber auch auf spezielle Situationen wie Resistenzen, eine HIV-TB-Koinfektion oder die latente tuberkulöse Infektion (LTBI) eingegangen. Einige ausgewählte Neuerungen möchten wir Ihnen hier auszugsweise vorstellen.
DIAGNOSE
Die Diagnose der Tuberkulose (TB) soll durch den mikrobiologischen Nachweis gesichert werden. Dazu eignen sich bei V.a. eine Lungentuberkulose drei hochwertige Sputa. Bei V.a. extrapulmonale Tuberkulose soll ebenfalls die Diagnosesicherung durch geeignetes Material (z.B. Gewebeprobe OHNE Formalin) angestrebt werden. Im Rahmen der Primärdiagnostik soll nun neben dem mikroskopischen und kulturellem Erregernachweis aus mindestens einer Probe auch eine molekularbiologische Untersuchung einschließlich dem Nachweis häufiger Erregermutationen erfolgen. Vom ersten verfügbaren Bakterienisolat soll eine kulturelle Resistenzbestimmung für die Medikamente der Standardtherapie und zusätzlich sollte eine molekularbiologische Untersuchung auf die mit einer Isoniazid- und Rifampicinresistenz assoziierten Genabschnitte erfolgen.
STANDARDTHERAPIE
Die Standardtherapie der sensiblen Lungentuberkulose hat sich aktuell nicht geändert. Die sechsmonatige Therapie soll für acht Wochen mit den Medikamenten Rifampicin (RMP), Isoniazid (INH), Pyrazinamid (PZA) und Ethambutol (EMB) und anschließend für vier Monate mit RMP und INH durchgeführt werden. Die international mögliche Therapieverkürzung auf 4 Monate mit Rifapentin, Moxifloxacin, Isoniazid und Pyrazinamid wurde aufgrund fehlender Verfügbarkeit von Rifapentin in der EU noch nicht übernommen. Wenn möglich sollen alle Medikamente gleichzeitig nüchtern morgens eingenommen werden.
KONTROLLE
In regelmäßigen Abständen sind als Kontrolluntersuchungen ein Routinelabor, Sputummikroskopie und -kultur, augenärztliche Untersuchungen und radiologische Kontrollen empfohlen. Zu Beginn ist zusätzlich ein HIV-Test und ggf. eine Hepatitisserologie zu veranlassen. Die klinischen und radiologischen Verlaufsuntersuchungen sollen nach einem, zwei und sechs Monaten erfolgen. Weitere Kontrollen sind 6 und 12 Monate nach Therapieende empfohlen. Bei ausgedehnten Befunden, einigen Formen der extrathorakalen Tuberkulosen, Nebenwirkungen oder bei Begleiterkrankungen können sich die Dauer und Zusammensetzung der Therapie ändern.
RESISTENTE TUBERKULOSE
Bei einer INH-Monoresistenz soll die Therapie über 6 Monate mit Rifampicin, Levofloxacin, Pyrazinamid und Ethambutol erfolgen, wobei eine verkürzte Gabe von PZA und/ oder EMB prinzipiell möglich ist.
Die multiresistente (MDR-) TB erfordert eine komplexe und langwierige Behandlung, daher soll die Therapie in oder in Kooperation mit einem erfahrenen TB-Behandlungszentrum erfolgen. Da die internationalen Studien und Therapieempfehlungen bei MDR-TB in raschem Wandel sind, kann es bereits zeitnah zu Änderungen der Empfehlung kommen. Bei einer MDR-TB, also bei Vorliegen von Resistenzen gegen Rifampicin und Isoniazid, soll die Therapie individualisiert zusammengestellt und über 18 Monate durchgeführt werden. Bei nachgewiesener Empfindlichkeit werden die drei Medikamente der WHO-Gruppe A (Bedaquilin, Moxifloxacin oder Levofloxacin,Linezolid) und mindestens ein Medikament der WHO-Gruppe B (Terizidon oder Clofazimin) verwendet. Kann aufgrund von weiteren Resistenzen, Unverträglichkeiten oder Kontraindikationen damit keine Therapie aus mindestens vier Medikamenten zusammengestellt werden, wird durch Medikamente der Gruppe C ergänzt. Verkürzte Therapieregime sollten aktuell nur in Ausnahmefällen und in Absprache mit einem spezialisierten Zentrum angewendet werden. Durch die WHO ist eine Anpassung der Therapieempfehlung angekündigt. Eine Therapieverkürzung auf 6-9 Monate mit BPaL(M) (Bedaquilin, Pretomanid, Linezolid, (Moxifloxacin)) soll als Alternative empfohlen werden. Eine vorzeitige Aktualisierung der deutschen Empfehlungen zur MDR-TB-Therapie ist nach Sichtung der teilweise noch unveröffentlichten Studiendaten geplant. Bei Verdacht auf Therapieversagen ohne Nachweis zusätzlicher Medikamentenresistenzen, bei potentiellen Resorption- oder Eliminationsstörungen, bei Risiken für Toxizität oder Interaktionen (z.B. bei HIV-Koinfektionen) oder bei fraglicher Adhärenz sollte eine Messung der Medikamentenspiegel im Blut erfolgen und die Dosierung der Medikamente daran angepasst werden.
SOZIALMEDIZINISCHE ASPEKTE UND NACHSORGE
Die Tuberkulose ist eine meldepflichtige Infektionskrankheit, aber auch die Behandlungsführung und die Isolierung muss in Rücksprache mit dem zuständigen Gesundheitsamt erfolgen. Dies betrifft auch Kostenfragen bei Isolierungsmaßnahmen aus Infektionsschutzgründen und die Behandlung bei Unversicherten. Die Betreuung von Patientinnen und Patienten mit Tuberkulose ist häufig mit komplexen sozialmedizinischen Herausforderungen verbunden, die den Behandlungserfolg gefährden können und daher frühzeitig adressiert werden sollten. Hilfreich ist hierbei eine muttersprachliche Aufklärung und Kommunikation, eine wohnortnahe und wenn möglich ambulante Behandlung, Einbindung digitaler Unterstützungsangebote, die vorausschauende Evaluation und Klärung von Begleiterkrankungen, sozialen Risikofaktoren, finanziellen Fragen und aufenthaltsrechtlicher Probleme sowie Unterstützung bei dringlichen organisatorischen Herausforderungen (z.B. Kinderbetreuung während Isolationsmaßnahmen).
Auch nach erfolgreicher Beendigung der TB-Therapie, insbesondere nach MDR-TB, können Beschwerden persistieren, die eine Abklärung von Folgeerkrankungen erfordern. Diese werden als Post-TB lung disease (PTLD) zusammengefasst. Zur Diagnostik können radiologische und lungenfunktionelle Untersuchungen sowie Fragebögen herangezogen werden. Eine mögliche Therapie, Rehabilitationsbedarf oder Symptomlinderung richtet sich nach dem vorliegenden Krankheitsbild.
LATENTE TUBERKULÖSE INFEKTION
Per Definition ist eine latente tuberkulöse Infektion (LTBI) ein positiver immunologischer Test (Tuberkulin-Hauttest/ THT oder Interferon-gamma release assay /IGRA) bei gleichzeitigem Ausschluss einer Erkrankung an Tuberkulose. Die verfügbaren Tests weisen nur eine Immunantwort nach, können aber nicht zwischen einer Erkrankung und einer Infektion unterscheiden und auch das Risiko einer Progression von der Infektion zur Erkrankung nicht vorhersagen. Daher soll die Indikation für einen Test gezielt nur bei Risikogruppen gestellt und über eine präventive Therapie bei Nachweis einer Infektion soll gemeinsam mit der betroffenen Person auf Grundlage einer individuellen Risiko-Nutzen-Abwägung und der vorhandenen Rahmenbedingungen entschieden werden. Kontaktpersonen, Menschen, die mit HIV leben (PLWH) mit zusätzlichen Risikofaktoren und Patientinnen und Patienten vor Therapie mit TNF-Inhibitoren (TNFi) und ggf. anderen Biologika und JAK-Inhibitoren sollen auf eine LTBI untersucht und präventiv behandelt werden. Bei Personen mit schwerwiegenden Grunderkrankungen mit Immunsuppression, Personen vor Transplantationen oder Menschen aus Hochprävalenzländern sollte im Falle einer LTBI eine präventive Therapie angeboten werden. Dazu stehen verschiedene präventive Therapieregime zur Verfügung, wobei die kürzeren Rifamycin-basierten Schemata (vier Monate RMP oder drei Monate RMP und INH) zu bevorzugen sind. Auch Rifapentin-basierte Schemata sind theoretisch möglich, stellen allerdings aufgrund der fehlenden Verfügbarkeit in Europa aktuell keine praktische Alternative dar. Auch bei Kontakt zu Erkrankten mit einer ansteckenden MDR-TB und nachfolgender Infektion sollte nach individueller Risiko-Nutzen-Abwägung eine präventive Therapie (nach Resistogramm der Indexperson) angeboten werden.