Neues aus der Impfstoffentwicklung gegen Tuberkulose
In der Sars-CoV-2-Pandemie wurden binnen eines Jahres nach Auftreten des neuartigen Coronavirus gleich mehrere wirksame Impfstoffe entwickelt, hergestellt und zugelassen. Im Gegensatz dazu zeichnet sich bei der Tuberkulose (TB) in der Impfstoffentwicklung ein ernüchterndes Bild. Die Bilanz: Seit Entdeckung der Tuberkuloseerreger im Jahr 1882 wurde mit dem BCG-Impfstoff bislang nur ein einziger Impfstoff zugelassen.1,2
Der BCG-Impfstoff (kurz für Bacille Calmette Guérin) beruht auf einem attenuierten Stamm des humanpathogenen TB-Erregers M. bovis und wurde 1921 entwickelt. Zwar schützt der BCG-Impfstoff zuverlässig vor der Entwicklung schwerer Verläufe einer TB-Erkrankung wie der miliaren TB oder der TB-Meningitis im Kindesalter. Gegen die mit Abstand häufigste Manifestation, die pulmonale TB, bietet der Impfstoff jedoch keinen ausreichenden Schutz. Hinzu kommen teils erhebliche Nebenwirkungen: neben der häufigen Narbenbildung an der Injektionsstelle können auch Fälle von tuberkulöser Osteomyelitis bis hin zu disseminierten Verläufen ausgelöst werden. Das Risiko hierfür ist größer bei begleitender Immunsuppression, z.B. durch eine HIV-Infektion. Da das Risiko für Nebenwirkungen das Risiko eines schweren Verlaufes in Deutschland als Niedriginzidenzland für Tuberkulose übersteigt, wird der BCG-Impfstoff in Deutschland seit 1998 nicht mehr empfohlen. Dies folgt damit auch der Empfehlung der WHO, die eine BCG-Impfempfehlung lediglich für Hochinzidenz-Länder ausspricht, in denen Kinder einem hohen Risiko einer TB-Erkrankung und demnach schwerwiegenden Verläufe ausgesetzt sind. Außerdem wird von einem positiven Einfluss des BCG-Impfstoffes auf die teils hohe Kindersterblichkeit im Globalen Süden ausgegangen. Dies wird auf unspezifische Effekte zurückgeführt, indem durch allgemeine Immunstimulation auch die Reaktion auf andere Infektionskrankheiten verbessert wird.3
Aktuell befinden sich verschiedene neue Impfstoffkandidaten gegen TB in der Entwicklung, basierend auf viralen Vektoren, Impfstoff-Adjuvanzien und attenuierten Lebend- oder Totimpfstoffen. Die große Herausforderung stellen, ähnlich wie in der Therapie, die besonderen Eigenschaften der Mykobakterien dar. Anders als bei vielen anderen Impfstoffen gibt es kein eindeutig identifizierbares immundominantes Antigen, sodass eine effektive Impfung nicht allein auf neutralisierenden Antikörpern basieren kann, sondern eine effiziente T-Zell-Antwort voraussetzt. Besonders bei Immunsupprimierten gestaltet sich eine ausreichende Immunantwort komplex.
Eine am 27. Juni 2022 im The Lancet Infectious Diseases mit einem Editorial veröffentlichte multizentrische, doppelblinde und randomisierte Phase-2-Studie hat die Sicherheit und Immunogenität des Impfstoff-Kandidaten VPM1002 bei südafrikanischen Neugeborenen untersucht.4,5 VPM1002 ist ein am Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie in Berlin entwickelter rekombinanter BCG-Stamm, der in vorangegangen Phase-1- und -2-Studien eine zu BCG gleichwertige Immunantwort in immunkompetenten PatientInnen inklusive Neugeborenen gezeigt hat. In der aktuellen Nicht-Unterlegenheitsstudie wurden 416 HIV-exponierte und nicht-exponierte Neugeborene innerhalb der ersten 12 Lebenstage mit VPM1002 (n=312) oder BCG (n=104) geimpft und über ein Jahr nachbeobachtet. Das Follow-up bestand neben immunologischen Untersuchungen aus dem Screening auf unerwünschte Ereignisse sowie der Durchführung eines Tuberkulin-Hauttests im 12. Monat nach Impfung.
Insgesamt zeigte sich in Bezug auf die Impfstoff-Sicherheit eine Nicht-Unterlegenheit von VPM1002 gegenüber BCG: Sowohl das Auftreten schwerwiegender unerwünschter Ereignisse als auch die Rate an lokalen Reaktionen wie Vernarbungen und Abszessbildung waren bei VPM1002 über die Kohorten im Vergleich zu BCG weniger ausgeprägt (p<0.0001). Im sekundären Endpunkt der erzielten Immunantwort schnitt der neue Kandidat im Vergleich etwas schwächer ab, bei insgesamt vorhandener Immunogenität. Die Impfstoffwirksamkeit von VPM1002 wird aktuell in einer weiterführenden Phase-3-Studie untersucht. Ein wichtiger logistischer Vorteil dieses Impfstoffes besteht in der Möglichkeit der Großproduktion, die die weltweiten Versorgungsengpässe wie beim BCG-Impfstoff zukünftig abfangen und damit Probleme der globalen Verfügbarkeit adressieren könnte.
Neben VPM1002 befinden sich aktuell mehrere Kandidaten aus verschiedenen Impfstoffklassen in der Entwicklung oder bereits in der klinischen Testung. Einen Überblick dazu bietet die Webseite der Tuberculosis Vaccine Initiative (https://www.tbvi.eu/what-we-do/pipeline-of-vaccines/). In der seit über 100 Jahren andauernden Suche nach einem TB-Impfstoff, der einen effektiven Schutz gegen die pulmonale TB mit einer sicheren Anwendung auch bei immunsupprimierten PatientInnen verbindet, sind die Neuigkeiten aus der Impfstoffentwicklung als sehr positiv zu bewerten.
Literatur
- Lange C, Aaby P, Behr MA, et al. 100 years of Mycobacterium bovis Bacille Calmette–Guérin. Lancet Infect Dis 2022; 22: e2–12.
- Kaufmann SHE. Vaccine development against tuberculosis over the last 140 years: failure as part of success. Front Microbiol 2021; 12:
- Benn CS, Roth A, Garly ML, et al. BCG scarring and improved child survival: a combined analysis of studies of BCG scarring. J Intern Med 2020; 288: 614–24.
- Cotton MF, Madhi SA, Luabeya AK, Tameris M, Hesseling AC, Shenje J, Schoeman E, Hatherill M, Desai S, Kapse D, Brückner S, Koen A, Jose L, Moultrie A, Bhikha S, Walzl G, Gutschmidt A, Kotze LA, Allies DL, Loxton AG, Shaligram U, Abraham M, Johnstone H, Grode L, Kaufmann SHE, Kulkarni PS. Safety and immunogenicity of VPM1002 versus BCG in South African newborn babies: a randomised, phase 2 non-inferiority double-blind controlled trial. Lancet Infect Dis. 2022.
- Dockrell HM. A next generation BCG vaccine moves forward. Lancet Infect Dis. 2022 Jun 27:S1473-3099(22)00287-0. doi: 10.1016/S1473-3099(22)00287-0. Epub ahead of print. PMID: 35772448.